Hotelzimmer-Romantik

Das Wandern hat Seiten an sich, die sich so spannend wie das analoge Kursbuch lesen. Sie machen das schwierigere Kapitel vom Unterwegssein aus. Jenes, das mehr über mich verrät, als mir lieb ist.

Eine Fern-Wanderung um diese Jahreszeit besteht aus Tag und viel Nacht; am Abend dunkelt es nach 18.00 Uhr ein. Kein lauer Frühlingsabend hat bisher dazu verlockt, mich draussen hinzusetzen und die Menschen zu beobachten, die von der Arbeit heimwärts eilen. Die Strassen sind leer gefegt. Das Leben findet drinnen statt. Auch in Hotelzimmern.
Heute ist der 54. Tag meiner Wanderung und ins 44. Hotelbett lege ich mich am Abend. "Ohne Hund", wie ich bei jeder Reservation betone. Mira schläft am Boden und liebt Teppiche. Ich weniger. Spuren verweisen auf manchen auf längst vergangene Rauchkultur. Und auf anderes.
Gastfreundschaft hat nichts mit gestylten Zimmern zu tun; diese sind zwar häufiger, aber genauso einsam.
Das erste meiner Betten in Dunkeldeutschland, so nennen die Bayern die neuen Bundesländer noch immer, stand in einem Zimmer, das so kalt wie der Tag draussen war. Kaum angekommen zog ich alle Kleider über und drehte den elektrischen Heizofen auf. Er stand auf so wackeligen Füssen, dass ich fürchtete, er würde umfallen, den Teppich noch mehr verbrennen und das Gasthaus "Frische Quelle" in Truckenthal abfackeln. Ich stützte ihn mit einem Fuss und wartete auf Wärme. Das Zimmer war wie eine Brockenstube. Auf Brocanten fühle ich mich jedoch zuhause.

Am Abend sass ich als einzige Esserin in der Gaststube; ein Holzfeuer flackerte Gemütlichkeit in jede ihrer Ecken, die Wirtin erzählte vom Dorf, das ausstirbt, weil die Jungen wegziehen, da die Arbeit fehlt. Sie berichtete von ihrem freiwilligen und sie erfüllenden Engagement für die Seniorinnen und Senioren, vom Sauerbraten und den Thüringer Klössen, die sie für den Sonntag noch bis spät in die Nacht vorbereiten werde - kein Wunder roch danach sogar mein Pyjama nach Sonntagsbraten. Wie sehne ich mich ab und zu nach den Gerüchen zu Hause! Oder dem Wirken und Tun, das um mich herum stattfindet?
Beim Abschied schenkte mir die Wirtin eine Hyazinthenzwiebel, damit ich etwas Blühendes bei mir habe. Dunkeldeutschland habe ich mir anders vorgestellt.
Meist sitze ich jedoch nach einem einsamen Abendessen in Zimmern, die nicht meine sind, plane den nächsten Wanderweg, tauche nochmals ein in das am Tag Erlebte, schreibe Mails und sms - auch an Menschen, denen ich auf meinem Weg durch Deutschland begegne. Oft stelle ich mir vor, bald wieder etwas Richtiges zu tun. Das von klein auf erworbene protestantische Arbeitsethos wird im Lande Luthers nicht kleiner. Aber hinterfragter. Jeden Abend vor dem Einschlafen wird mir bewusst, dass ich dem kommenden Tag selber Leben und Farbe geben muss; da ist niemand und keine Struktur, die mich über die hellen Stunden hinweg tragen. Sie könnten zu dunklen werden, wenn das Gehen nicht wäre.