Am Ende. Und doch am Anfang

Da sind wir nun. Angekommen! Vor uns die Ostsee. Hinter uns Deutschland. Vor uns liegt angedachtes Leben, hinter uns, korrekt gesagt: hinter mir - Miras Hundeseele hat jeden Tag entspannter durchschwebt als meine -, hinter mir also liegen tausende von Schritten: gegangen mit schweren Beinen, aber der Nase nach. Mit Wind im Haar und Funken der Erkenntnis und festgefrorenen Gedanken im Kopf. Mit viel Lachen und einigen Tränen in den Augen, mit Musik in den Ohren, mit fluchen und singen auf der Zunge, mit bangem und haderndem Herzen, das aber auch hüpfte vor Freude. Tausende von Schritten, gegangen mit dem richtigen Gefühl im Bauch. Ich sollte ihm nur mehr vertrauen.
Unglaublich viel Schönes ist mir begegnet und dank der Langsamkeit des Gehens habe ich ein Land besser kennen- und lieben gelernt. Auch mir bin ich näher gekommen.
Nach einem Drittel der Strecke schrieb ich den Satz auf: "Freiheit zu erfahren und zuzulassen ist gar nicht so einfach. Aber ich habe ja noch ein paar hundert Kilometer vor mir." Eine Wanderbekanntschaft reagierte auf meinen Satz mit folgenden Worten:
"Wenn Du den Moment geniesst, ohne mit den Gedanken in der Vergangenheit zu sein, die Du nicht ändern kannst, ohne immerzu in die Zukunft zu schauen und Dich mit Dingen zu beschäftigen, auf die Du wenig oder gar keinen Einfluss hast, dann bist Du unendlich frei und Dir wird die ganze Fülle des Lebens geschenkt."
Zeitgleich schrieb mir eine Freundin aus der Schweiz, deren Leben eine grosse Wende genommen hat: "Ich habe jene Gedanken, die sich gut angefühlt haben, konsequent weiter verfolgt." Nun will sie, als ehemalige Topmanagerin einer grossen Unternehmung, einen Tante Emma Laden führen und meint: "Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf dieses Abenteuer freue. Reich wird frau nicht dabei, aber es könnte viel Spass machen."
Zwei zu Freunden gewordenen Nürnberger, die ein neues Unternehmen lancieren, schrieb ich: "Es tut mir gut zu sehen, wie Menschen etwas einfach tun und somit das Nichtgelingen miteinbeziehen. Aber Scheitern wäre nur, wenn man es gar nicht versucht hätte." Die Antwort war: "Ein bissel verrückt muss man schon sein, damit man sich auf Risiken einlässt."
Die letzten Meter der Wanderung waren die schwierigsten. Beim Schild 'Hohwacht Strand 1.4 km' wollten die Beine nicht mehr und der Magen rebellierte. Angst vor dem doch herbeigesehnten Ende des Unterwegsseins? Laut musste ich mir sagen: "Dieses Ende ist der Anfang von etwas Neuem." Tief durchatmen. Weitergehen. Schritt für Schritt - und daran denken, welcher Satz aus Hesses Gedicht 'Die Stufen' auf dem Zettelchen in meinem Bauchtaschen-Geheimfach steht, der mich auf der ganzen Wanderung begleitet und getröstet hat: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

Als letztes gilt es zu sagen: Danke, Deutschland!